luhmen d´arc

View Original

Workshopsexualität. Teil II


Weiter geht es mit dem Versuch herauszufinden, wie sich Workshopsexualität von anderen Sexualitäten unterscheidet. Stehen geblieben sind wir in Teil I bei der Beobachtung, dass Workshops didaktisch aufgearbeitet sind, einem Plan folgen und bestimmte Regeln und Umgangsformen vorgeben. Deswegen stimmt die Behauptung nur teilweise, dass Workshops gesellschaftliche Normen brechen. Wie so oft geht auch hier der Normbruch nicht einfach mit Normfreiheit, sondern mit einer neuen Norm einher. Normal im Sinne von „geläufig“ ist in unserer Gesellschaft beispielsweise, dass Sex weitestgehend nonverbal abläuft. Und damit ist nicht das Fehlen von Dirty Talk gemeint, sondern der ehrliche und respektvolle Austausch darüber, was einem gefällt und was nicht. In sexpositiven Workshops steht hingegen klare Kommunikation an erster Stelle. Es gehört sich, vor intimen Interaktionen (und das können bereits Begrüßungsumarmungen sein) nicht nur die Zustimmung des anderen einzuholen, sondern im weiteren Geschehen so miteinander im Austausch zu sein, dass die Grenzen aller Beteiligten gewahrt und Best-Case-Scenarios gewünschter Erfahrungen ermöglicht werden. Diese Norm geht mit dem Etablieren eigener Sprachcodes einher. Der Urlaubsflirt wird sich wahrscheinlichwundern, antwortet man auf seine Absage mit einem „Danke, dass du auf deine Grenzen achtest“. Im Bereich der Workshopsexualität ist das Usus.

Normen, Normierungen und Normalisierungen sind zweischneidig, können hemmen als auch ermöglichen – mehr noch, sollte man sie sich eigentlich nicht als Schwerter, sondern als verschlungene Brezeln vorstellen: durch die Beschränkung kann sich erst größere Freiheit einstellen; die größere Freiheit führt zu neuen Beschränkungen. Loopyloop. Auf eine mögliche verschlungene Falle der Workshop-Norm weist zum Beispiel >> Anna Mense hin:

„Die Aufforderung, Wünsche und emotionale Zustände zu äußern, könnte eine Chance sein, tabuisierte Sprachkulturen zu durchbrechen und einen transparenten Diskurs zu beginnen. Sie könnte aber auch eine Enthüllungskultur fördern, in der Menschen unvorsichtigerweise persönliche Informationen in einer exponierenden und nachteiligen Weise teilen. Beispielsweise könnte das Teilen intimer Informationen mit einer Gemeinschaft dazu führen, dass man eine abhängige Belohnungs- und Rettungsstruktur aufbaut, in der Menschen sozial belohnt werden, wenn sie ihr verletzliches Selbst preisgeben. […] Sich im Gespräch quasi nackt zu machen, ermöglicht nicht unbedingt Intimität, sondern könnte eher zu Nicht-Distanz führen, die Menschen in eine unangemessene Nähe zueinander bringen.“

Workshopsexualität hat damit eine entscheidende Gemeinsamkeit mit den anderen bisher erwähnten Sexualitäten, die sich wiederum alle von Formen radikal anarchistischer Sexualität unterscheiden. Denn ob es nun heißt, dass man über Sex reden sollte oder besser nicht, auf jeden Fall wird hier so oder so etwas vorgeschrieben und eine Normalität etabliert. Und das heißt, den Versuch zu unternehmen, möglichst sauber oder in Kontrolle zu bleiben, während man es mit etwas potenziell Riskantem, Gefährlichem, Schmutzigem, Kontaminierendem zu tun hat. Der Sexualtherapeut Marty Klein fasst es so zusammen: „,Normal’ heißt, zu versuchen um den Sex herum Grenzen zu setzen, damit er nicht ausbrechen, zu viel Macht erlangen oder andere verletzen kann. ,Normal’ heißt, zu versuchen den Sex klein genug zu machen, dass er uns nicht bedroht oder von uns verlangt, zu wachsen. ,Normal’ heißt zu erkennen, dass Erotik im Unbewussten angesiedelt ist: einem unaufgeräumten kleinen Ablade- und Gerümpelplatz”

Weiteren zweischneidigen Brezelhaftigkeiten wird in Teil III nachgegangen...